Zyklusbasiertes Training – sinnvoll oder nicht?

von | Apr. 7, 2024 | Frauen, Gesundheit, Hormone, Lifestyle, Training | 0 Kommentare

Ein sehr erfolgreicher Trainer auf Instagram postete vor kurzem eine Studie[1], mit der Zusammenfassung:  einzelne Zyklusphasen der Frau unterscheiden sich nicht, was die Kraft betrifft, Frauen sind also nicht stärker oder schwächer in den einzelnen Zyklusphasen und sollten sie sich doch schwächer in einer Phase fühlen, wäre das nur der berühmte Placebo / Nocebo-Effekt, also alles auf rein psychologischer Ebene. Dementsprechend mache es auch keinen Sinn, die Trainingsplanung an den Zyklus anzupassen.

Was mir beim ansehen der Studie sofort aufgefallen ist: die Conclusion der Studie beißt sich mit der Aussage auf Instagram, zudem handelt es sich zwar um eine Metaanalyse, das bedeutet es wurden alle verfügbaren Studien inkludiert, allerdings konnten dann am Ende nur drei Studien in die Auswertung (was Kraft angeht) einbezogen werden und diese Studien waren dann auch noch ziemlich klein und zeigten nur drei Zyklen. Zusätzlich handelte es sich bei den Studienteilnehmerinnen um extrem unterschiedliche Typen, von Hochleistungsathletin bis älterer Frau – alles war dabei. Auch die Bestimmung der einzelnen Zyklusphasen war nicht sonderlich genau, also insgesamt eine recht schlechte Studie, die recht schlechte Studien zusammengefasst hat. Für mich persönlich sind die Aussagen also nicht relevant genug, vor allem nicht um zu sagen: “Zyklusbasiertes Training ist sinnlos“.

Sorry there isn't enough data!

Wir stehen immer noch vor dem Problem der Gender Data Gap, es gibt immer noch weniger Studien mit Frauen, als mit Männern und die Ergebnisse, welche bei männlich-dominierten Studien herauskommen, können nicht auf Frauen übertragen werden, denn bei den Frauen gibt es einfach zu viele zusätzliche Faktoren! Frauen sind eben nicht kleine Männer.

Klassische Trainingsmethoden gehen nicht auf die schwankenden Hormonspiegel von Frauen ein und das, obwohl Frauen häufiger von Übertraining und dem „female athlete triad“ betroffen sind. Die Folgen können Nebenwirkungen wie Osteoporose, Unfruchtbarkeit und Amenorrhoe sein. Das Zyklusbasierte Training wurde bis jetzt nur in fünf Studien untersucht, vier dieser Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen, die intensiver in der Follikelphase trainieren im Vergleich zu anderen Interventionsgruppen einen größeren Trainingserfolg haben[1],[2], [3], [4].

Der weibliche Zyklus wird (sehr grob) in 4 Phasen eingeteilt:

  • Menstruation
  • Follikelphase
  • Eisprung
  • Lutealphase
Deborah Rittwagen, Zyklus der Frau, Zyklusbasiertes Training

Zykluswissen

Ich empfinde es als sehr problematisch, dass viele Frauen diese Phasen gar nicht kennen und auch Leistungssportlerinnen werden sehr häufig nicht für ihren natürlichen Zyklus sensibilisiert, sondern sollen eher über ihn hinweg trainieren. Das führt auch zu Scham und Leistungsdruck.

Natürlich nimmt jede Frau ihren Zyklus anders wahr, auch die einzelnen Zyklen können sich stark unterscheiden. Wir wissen aber z. B. dass das Schlafbedürfnis, bzw. die Regenerationszeit in der Lutealphase häufig steigt und dass es in dieser Phase häufiger zu Stimmungsschwankungen, Motivationstiefs, Verdauungsproblemen und Erschöpfung kommt, alles Nocebo? Ich glaube nicht!

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Das Spiel der Hormone

Die späte Follikelphase und der Eisprung sind verbunden mit einem hohen Östrogen- und Testosteronlevel, beides anabole Hormone die mit Kraft- und Muskelaufbau in Verbindung stehen. Allerdings wirkt sich Östrogen wahrscheinlich auf die Bandstabilität aus, da es die Lysiloxidase hemmt. Die Lysiloxidase ist ein Enzym, welches die Quervernetzung im kollagenen Bindegewebe unterstützt und damit die Stabilität des Gewebes erhöht[1]. Befinden wir uns also in Phasen mit viel Östrogen (späte Follikelphase / Eisprung), steigt tendenziell die Verletzungsanfälligkeit.

Ob sich die Kraft in den einzelnen Zyklusphasen unterscheidet, kann auch durch die aktuelle Metaanalyse nicht klar definiert werden, wir wissen aber dass die Leistungsfähigkeit in den einzelnen Zyklusphasen stark schwanken kann. Die Leistungsfähigkeit ist abhängig von unterschiedlichen Faktoren:

  • Energielevel
  • Stimmung
  • Schlaf
  • Verdauung
  • Motivation
  • RPE / Maß deiner empfundenen Erschöpfung
  • PMS-Symptome (nicht physiologisch aber häufig)

Das Thema ist also etwas komplexer und eine pauschale Aussage ist nicht möglich. Vor allem auch deswegen, weil sich jede Frau unterscheidet (und wir sprechen jetzt nur von gesunden Frauen, die keine oralen Hormone zuführen!).

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Meine Meinung

Ich erlebe häufig Frauen, die sich an der durchgehenden Leistungsfähigkeit von Männern orientieren. Das geht meistens nur über einen kurzen Zeitraum gut. Durch intensiven Sport kommt es auch zu einem Stressfaktor, der sich negativ auf das hormonelle Gleichgewicht auswirken kann, eine gezielte und geplante Regeneration ist also für jede Leistungssportlerin elementar. Generell empfiehlt es sich den Zyklus zu tracken, nicht nur um das Training an die Phasen, wenn nötig, anpassen zu können, sondern auch, um erste Anzeichen von Zyklusstörungen erkennen zu können. Dafür ist auch ein elementares Wissen über physiologische Zyklusvorgänge wichtig. Der Zyklus ist ein Vitalparameter  und kann uns viel über die Gesundheit der jeweiligen Frau erzählen.

Ein paar Gedanken…

Sollten sich starke PMS-Symptome oder Erschöpfung in der Lutealphase und Menstruation zeigen, könnte das Training (auch akut) angepasst werden:

  • Deloads und Tapering in die Lutealphase planen. Ich arbeite eig. hauptsächlich mit Tappering, bedeutet du trainierst weiter, aber sehr reduziert.
  • High-Intensity-Workouts und Max-Tests in die Follikelphase planen. Eisprung wäre evtl. ideal, weil es hier auch zu einem Testosteronhoch kommt, allerdings führt das hohe Östrogen während dem Eisprung auch zu einem erhöhten Verletzungsrisiko – kommt also drauf an.

Hat die Frau einen stabilen Zyklus bzw. keine Symptome, die sie stark einschränken, kann auch mit der RPE-Skala gearbeitet werden – heißt, die jeweilige Leistungsfähigkeit wird direkt am Trainingstag über die RPE Skala eingeschätzt und dementsprechend trainiert.

Rate of Perceived Exertion (RPE)

Dient zur Abschätzung der empfundenen Anstrengung bei körperlicher Aktivität. Es handelt sich um eine Skala von 1 (sehr, sehr leichte Belastung) bis 10 (extrem schwere Belastung). Der RPE von 10 entspricht 1 RM, bedeutet es ist nur eine Wiederholung möglich.

Wie es dir als Frau in den einzelnen Phasen geht ist individuell! Durch die hormonellen Schwankungen lässt sich das zum Teil erklären. Was ich nicht unter Zyklusbasiertem Training verstehe: Training nur in der Follikelphase und ab dem Eisprung nur noch Sofa und Chips.

Natürlich ist es vereinzelt möglich, dass es zu einem Nocebo-Effekt kommt und Frauen sich während der Lutealphase schwächer einschätzen als sie eigentlich sind. Hier muss aber eine Balance gefunden werden zwischen Nocebo-Effekt und Zykluswahrnehmung bzw. dem Problem, dass der Zyklus komplett ausgeklammert wird.

Was sind deine Gedanken zu diesem komplexen Thema? Lass es mich in den Kommentaren wissen!

P.S: Wenn du tiefes Wissen rund um Trainingsplanung, Gesundheit und Leistung erlangen möchtest, empfehle ich dir die Ausbildung zum Kraft- und Gesundheitstrainer von Strength First.

Deborah Rittwagen

Quellen:

[1] Niering, M.; Wolf-Belala, N.; Seifert, J.; Tovar, O.; Coldewey, J.; Kuranda, J.; Muehlbauer, T. The Influence of Menstrual Cycle Phases on Maximal Strength Performance in Healthy Female Adults: A Systematic Review with Meta-Analysis. Sports 202412, 31. https://doi.org/10.3390/sports12010031

[2] Reis, E., Frick, U., & Schmidtbleicher, D. (1995). Frequency variations of strength training sessions triggered by the phases of the menstrual cycle. International journal of sports medicine, 16 (8), 545-550.

[3] Wikström-Frisén, L., Boraxbekk, C.J. & Henriksson-Larsén, K. (2017). Effects on power, strength and lean body mass of menstrual/oral contraceptive cycle based resistance training. J Sports Med Phys Fitness, 57:43-52. DOI: 10.23736/S0022- 4707.16.05848-5.

[4] Platen, P., Han, A. & Soog, E. (2008). Menstruationszyklus-gesteuertes Krafttraining Mak- roskopische Adaptationen an Krafttraining in Abhängigkeit vom hormonellen Milieu. Ruhr-Universität Bochum.

[5] Sung, E. (2012). Effects of menstrual cycle based-training on muscle strength, muscle volume and muscle cell parameters in women with and without oral contraception. Veröffentlichte Disseration, Ruhr-Universität Bochum.

[6] Wojtys EM, Huston LJ, Lindenfeld TN, Hewett TE, Greenfield ML. Association between the menstrual cycle and anterior cruciate ligament injuries in female athletes. Am J Sports Med. 1998 Sep-Oct;26(5):614-9. doi: 10.1177/03635465980260050301. Erratum in: Am J Sports Med 2000 Sep-Oct;28(5):747. PMID: 9784805.

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